Auch Mit­tel­ständ­ler, die kurz­fris­tig eine gute Liqui­di­tät haben, unter­schät­zen die lang­fris­ti­gen Aus­wir­kun­gen der der­zei­ti­gen Krise.

Es gehört zu den gut erforsch­ten mensch­li­chen Ver­hal­tens­wei­sen, dass kurz­fris­ti­ge Ent­wick­lun­gen über­be­wer­tet, lang­fris­ti­ge Trends aber stark unter­schätzt wer­den. Bezo­gen auf die Finan­zie­rungs­an­fra­gen mit­tel­stän­di­scher Unter­neh­men kön­nen wir zumin­dest im Ansät­zen auch ein sol­ches Mus­ter erken­nen. Denn kurz­fris­tig scheint die Finan­zie­rungs­si­tua­ti­on noch kom­mod. Dank groß­zü­gi­ger Unter­stüt­zung von Gesetz­ge­ber und Fis­kal­po­li­tik – groß­zü­gi­ge Kurz­ar­beit-Rege­lun­gen, Insol­venz­ver­bot und güns­ti­ge KfW-Kre­di­te, um nur drei Bei­spie­le zu nen­nen – sehen sich vie­le Unter­neh­mer bezüg­lich ihrer Liqui­di­tät aktu­ell gut aufgestellt.

Aller­dings hat ein lang­fris­ti­ger Trend zu schwie­ri­ge­ren Finan­zie­rungs­be­din­gun­gen ein­ge­setzt, der sich noch deut­lich ver­schär­fen wird. Mit­tel­ständ­ler soll­ten sich auf fol­gen­de Ent­wick­lun­gen einstellen:

Höhe­re Finan­zie­rungs­kos­ten: Für einen typi­schen Inves­ti­ti­ons­kre­dit mit fünf Jah­ren Lauf­zeit für ein Unter­neh­men mit mitt­le­rer Boni­tät sind die Kre­dit­zin­sen in den ver­gan­ge­nen drei Jah­ren um rund 100 Basis­punk­te gestie­gen. Lang­fris­tig sind das noch kei­ne über­durch­schnitt­li­chen Kon­di­tio­nen, aber wir gehen von wei­te­ren Stei­ge­run­gen aus, wegen der Aus­wir­kun­gen von Trend Num­mer zwei.

Stren­ge­re Regu­lie­rung: Die Ban­ken­re­gu­lie­rung “Basel IV” wird Anfang 2022 akti­viert. Die Min­dest­hö­he der risi­ko­ge­wich­te­ten Akti­va (RWA) wird unter der Ver­wen­dung inter­ner Model­le (Out­put Flo­or) über­ar­bei­tet. Vor­ge­se­hen ist vor allem eine höhe­re Risi­ko­sen­si­ti­vi­tät der Stan­dardan­sät­ze, ins­be­son­de­re für Kre­dit­ri­si­ken. Das heißt, Ban­ken begin­nen jetzt schon, ihre Risi­ken zu redu­zie­ren bezie­hungs­wei­se Risi­ken neu zu bepreisen.

Rating-Abstu­fun­gen: Die extrem nied­ri­gen Aus­fall­ra­ten bei Unter­neh­mens­kre­di­ten in Euro­pa in den ver­gan­ge­nen Jah­ren soll­ten nicht als der Nor­mal­fall ange­se­hen wer­den. Spä­tes­tens im Früh­som­mer 2021 wer­den die Ratings für vie­le Unter­neh­men schlech­ter wer­den (Down­gra­de). Wie in der Ver­gan­gen­heit auch, wer­den die gro­ßen Rating-Agen­tu­ren wie­der spät­zy­klisch han­deln. Wie ernst die Situa­ti­on ist, wird somit erst rela­tiv spät klar wer­den. Damit wird die Finan­zie­rungs­si­tua­ti­on auch für Unter­neh­mer schwie­ri­ger, die aktu­ell auf eine soli­de Boni­tät ver­wei­sen kön­nen. Im Ver­hält­nis zum Gesamt­markt müs­sen alle Unter­neh­mer mit höhe­ren Anforderungen/Finanzierungskosten rechnen.

Dage­gen hel­fen die­se drei Punkte:

Brei­te des Mark­tes nut­zen: Noch sind Finan­zie­rungs­an­ge­bo­te am Markt vor­han­den, es muss aber nicht mehr die Haus­bank sein. Gera­de der bis­he­ri­ge Finan­zie­rungs­part­ner kann durch erreich­te Limits oder stren­ge­re Regu­lie­rung ein­ge­schränkt sein, das gilt aber nicht für ande­re Ban­ken. Der Ver­gleich von Finan­zie­rungs­an­ge­bo­ten meh­re­rer Ban­ken ist 2021 drin­gend zu empfehlen.

Kre­dit­un­ter­la­gen anpas­sen: Oft genü­gen schon for­ma­le Anpas­sun­gen, um den Kre­dit­an­trag qua­li­ta­tiv zu ver­bes­sern. Dabei geht es kei­nes­falls um “Win­dow dres­sing”, son­dern um die Auf­be­rei­tung der Unter­la­gen, um dem Bank­part­ner die Abwick­lung und Ent­schei­dung zu erleich­tern. Dies kann oft der ent­schei­den­de Unter­schied sein, um die Kre­dit­zu­sa­ge zu erreichen.

Zeit­fak­tor nut­zen: Der Trend zu einem lang­fris­tig schwie­ri­ge­ren Finan­zie­rungs­kli­ma scheint abseh­bar, hat sich aber noch nicht im Markt voll­stän­dig durch­ge­setzt. Eine zeit­na­he Finan­zie­rungs­an­fra­ge könn­te den nöti­gen Spiel­raum brin­gen, um als Unter­neh­mer mit einer star­ken Ver­hand­lungs­po­si­ti­on auf­zu­tre­ten. Lang­fris­tig könn­ten sich die Macht­ver­hält­nis­se am Kre­dit­markt näm­lich ändern.

Quel­le: Inter­view Markt und Mit­tel­stand mit Tho­mas Becer

https://www.marktundmittelstand.de/finanzierung/vorsicht-vor-der-zukunft-warum-langfristige-finanzierung-fuer-mittelstaendler-ein-problem-wird-1297181/